Arbeitsbeispiel: “Alles versandelt”

In diesem Artikel berichte ich über ein Coaching mit “Annegret”. Mit der Veröffentlichung an sich ist meine Klientin einverstanden, auf ihren Wunsch verwende ich jedoch einen anderen Namen um ihre Privatsphäre zu wahren.

Anlass für das Coaching

Ausgangspunkt für das Coaching war die Selbständigkeit von Annegret. Vor einiger Zeit hatte sie sich selbständig gemacht mit Themen, die ihr am Herzen liegen, aber es läuft noch nicht so recht. Sie hat viele Pläne und Ideen, manche davon beginnt sie umzusetzen, aber irgendwie versandelt das meiste. Ihr eigener Vergleich dafür: Es ist wie als würde ich Sonnenblumenkerne einpflanzen, aber dann nicht gießen.

Aktuelle konkrete Beispiele dafür: Der Plan, Kollegen in der Umgebung ansprechen um ein lokales Netzwerk zu knüpfen. Und potentielle Kunden anrufen.

Erforschung und Aha-Momente

Nachdem ich Annegret eine Zeitlang zugehört hatte, bat ich sie, sich in die Situation des “versandelns” zu versetzen. Also in den Moment, in dem sie gerade überlegt hat, den Anruf zu tätigen – es aber jetzt in diesem Moment beiseite schiebt. Es ist oft nicht ganz einfach, diesen Moment zu greifen, aber ich erlebe es als sehr hilfreich, die Gedanken und Körperempfindungen genau in diesem Moment anzuschauen, um einen Schritt weiterzukommen.

Nach einigen Momenten ist es Annegret gut gelungen, sich in diese Situation hineinzuversetzen und konnte deutliche Körperreaktionen spüren. Anpannung in den Schultern, Anspannung im Kiefer, ein Druck im Magen. Gedanken von “ich will nicht lästig sein” “ich will nicht stören” und “vielleicht mach ich mich lächerlich” waren im Vordergrund.

Für mich erfüllt das im Coaching gleich zwei Funktionen: zum einen hat das bewusste Spüren von unangenehmen Körperempfindungen häufig eine entspannende Wirkung. Angstbesetzte Situationen verlieren viel von ihrem Schrecken, wenn die Angst bewusst gespürt wird. Zum anderen machen die Gedanken bewusst, wieso etwas gemacht bzw. nicht gemacht wird. Im Alltag lassen viele Menschen diese Gedanken gar nicht zu und schieben sie sofort zur Seite – eine Art Selbstzensur.

Anhand der Gedanken haben wir dann gemeinsam erforscht, welche Werte oder Grundbedürfnisse betroffen sind. In Annegrets Fall waren das vor allem Akzeptanz und Interesse wecken. Eine wertvolle Erkenntnis war, dass ein Ziel ihrer Arbeit ja auch gerade ist, den Alltagstrott zu stören – dass es gerade etwas Gutes haben kann, den eingeschliffenen, gewohnten Gang zu unterbrechen, um Veränderung zu erreichen und wirksam zu sein. Es gilt also eine Balance zu finden zwischen der lästigen Störung und zu viel Angepasstheit aus einem Wunsch nach Harmonie und Leichtigkeit heraus.

Veränderung und Konkretisierung

Mit den beiden wichtigsten Werte von Annegret – Akzeptanz und Interesse wecken – habe ich eine kurze Übung angeleitet. Es geht dabei darum, diese Werte deutlicher zu spüren und sie stärker zu integrieren. Ihre Rückmeldung war, dass sie dadurch eine Entspannung spürt, und auch ein Gefühl von Energie und Freude aufkommt. Plötzlich hatte sie den Eindruck, ihr Anruf könnte auch willkommen sein, und möglicherweise haben die Angerufen nur darauf gewartet, dass sie jemand darauf anspricht.

Wo vorher nur Befürchtungen im Vordergrund standen, waren jetzt auch Chancen sichtbar.

Um diese Veränderung in Annegrets Sichtweise nachhaltiger zu machen, habe ich als nächstes ein Brainstroming für konkrete nächste Schritte angeregt. Sie hatte auch gleich einige Ideen, was sie tun könnte. Aus diesen Ideen hat sie anschließend einige ausgesucht und mit meiner Hilfe konkretisiert. Zum Beispiel: Den Anruf noch am selben Tag schriftlich vorbereiten und Fragen aufschreiben, die sie stellen will. Den Anruf an Kollegen am folgenden Mittwoch vormittags tatsächlich machen. Und: Für einige Wochen jeden Morgen die Übung machen, die ich angeleitet hatte.

Ich habe noch angeregt, etwas für den Gedanken “es ist gut, wenn ich störe” zu finden – dafür will Annegret sich als Symbol einen Wecker oder ein Bild eines Weckers besorgen.

Feedback

Direkt nach der Coachingstunde war Annegret zuversichtlich, die konkreten Schritte auch umzusetzen. Bei einem folgenden Termin hat sie mir berichtet, dass sie auch tatsächlich erfolgreich war – ihr Anruf wurde mit offenen Ohren aufgenommen und es haben sich Treffen mit den Kollegen ergeben. Das erhoffte lokale Netzwerk unter Kollegen nimmt tatsächlich Formen an.

Wenn ich jetzt an das Coaching denke, dann bin ich dankbar und beschwingt. Wenn sich ein Mensch so tief einlässt und auch bereit ist, seine inneren Gefühle und Gedanken mit mir zu teilen, dann erfüllt sich für mich ganz viel Offenheit und Verbindung. Und ich erlebte ganz direkt, dass mein Tun sinnvoll ist. Vielen Dank dafür, Annegret!

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