Der Elephant im Raum: Wie du Konflikte ansprichst, wenn andere nicht darüber reden wollen

“Was mache ich denn, wenn ich genau sehe, dass einem Teammitglied etwas stinkt – aber immer wenn ich darauf anspreche, kommt nur ‘ich hab kein Problem‘, ‘nö, alles gut‘ oder ‘will ich nicht drüber reden’.” Diese Frage hat vor einiger Zeit hat eine Teilnehmerin bei unserem Informationsabend zur Ausbildung Konfliktklärung in Teams und Organisationen. Und weil ich die Frage so spannend finde, habe ich hier ein paar Tipps dazu gesammelt.

Wenn ein Konflikt gar nicht erst zur Sprache kommt, ist es quasi unmöglich, ihn zu klären. Es gärt im Hintergrund, die Stimmung wird schlecht und im Lauf der Zeit wird es meist eher schlimmer für alle Beteiligten. Deshalb habe ich hier einige Punkte gesammelt, die zum Verständnis beitragen können, warum sich jemand nicht äußert. Zusätzlich gebe ich Tipps, um doch noch ins Gespräch zu kommen.

AI-generiertes Bild: Kollegen unterhalten sich, bemüht lachend, und ignorieren den Elephanten im Raum
Gute Miene zum Bösen Spiel oder: nur nicht über den Elephanten im Raum sprechen… (Bild erzeugt von DALL·E https://labs.openai.com/)

Danke für dein Bemühen!

Zuallererst mal ein dickes Dankeschön an dich. Ich vermute, Dir ist nicht egal, wie es deinen Kollegen geht. Du möchtest, dass sich alle im Team wohlfühlen und dass alle an einem Strang ziehen. Du möchtest gerne Klarheit haben, auch und gerade wenn es nicht so gut läuft und dann dazu beitragen, dass ein Konflikt gelöst werden kann.

Deshalb: Danke für dein Bemühen und deinen Einsatz für dein Team!

Ich lade dich im Folgenden dazu ein, die Situation aus der Sicht des Kollegen anzuschauen und deine eigene Sicht zu hinterfragen. Anhand dieser Impulse mache ich einige Vorschläge, wie du in dieser Situation weiterkommen kannst.

Hinterfrage deine Wahrnehmungen

Ich höre oft Sätze wie “ich habe wahrgenommen, dass Person X sich im Team nicht wohlfühlt” oder “ich nehme wahr, dass die Gruppe gerade angespannt ist”. Der Begriff “Wahrnehmungen” suggeriert eine objektive Wahrheit, eine Tatsache.

Meist ist “Wahrnehmung” allerdings ein Sammelsurium von Dingen. Objektives und Subjektives, Interpretationen und Bewertungen. Oft auch einfach ein “ich weiß nicht genau, wie ich drauf komme, irgendwie habe ich so ein Gefühl”

Ich lade deshalb dazu ein, die eigenen Wahrnehmungen mit einer gewissen Demut zu behandeln. Sie sind immer subjektiv, ich kann nicht in einen Menschen hineinschauen und keine Gedanken lesen. Alles was ich wahrnehme, läuft auch durch den Filter meiner eigenen Erfahrungen, Gedanken und Beschränkungen – und genauso bestimmen diese Filter, was zwar auch passiert, aber von mir nicht wahrgenommen wird.

Meine Erfahrungen, Gedanken und Beschränkungen unterscheiden sich von den Erfahrungen, Gedanken und Beschränkungen der anderen Person. Es passiert so schnell und leicht, von mir auf andere zu schließen – ich finde wichtig dabei ist, mir dessen bewusst zu sein: meine Wahrnehmung ist keine absolute, objektive Wahrheit!

Vielleicht bin ich gerade selbst genervt und unruhig und sehe deshalb überall genervte und unruhige Menschen. Egal ob ich das Projektion, selektive Wahrnehmung oder Resonanz nenne – mir begegnet das immer wieder.

Beobachtung und Interpretation

Bestimmt beruht deine Einschätzung, dass dem Teammitglied etwas stinkt, auf bestimmten Beobachtungen. Kannst du sagen, an was genau du das festmachst? Hat er/sie das Gesicht verzogen, direkt nachdem eine bestimmte Person etwas gesagt hat? Ist es ein bestimmter Tonfall? Oder die Körperhaltung, wenn er/sie morgens ins Büro kommt?

Mir öffnet es immer wieder die Augen, wenn ich mir bewusst mache, was ich tatsächlich gesehen und gehört habe – und was meine Interpretationen dazu sind. Diese Interpretationen passieren oft so schnell, dass es das einzige ist, was mir überhaupt zunächst bewusst ist.

Ein Beispiel dazu. Kollege A gibt im Teammeeting gerade die Einschätzung über den Projektstand. Kollege B sagt zwar im ganzen Meeting nichts. Ich denke aber, B ist komplett genervt von A und war kurz vorm explodieren.

Jetzt sind diese Aussagen “B ist komplett genervt von A” “B ist kurz vorm explodieren” erst mal meine eigenen Interpretationen über das was passiert ist. Das kann zutreffen, es gibt aber auch andere Möglichkeiten – auch wenn ich denke, es ist komplett offensichtlich – auch wenn es andere Kollegen auch so denken.

Wenn die Interpretation stimmt und die Person um die es geht, das genauso sieht, kann das unproblematisch sein. Wenn ich die Person das anders sieht, ruft es eher Irritation hervor. Hier ein Beispiel:

Ich: “B, warum warst du in dem Meeting neulich denn so genervt von A?”
B: “Aber ich war gar nicht genervt!”
Ich: “Aber es war doch total offentlich, dass du kurz vorm explodieren warst!”
B: “ich weiß nicht was das hier soll – ich hab gar nichts gemacht!”

Deshalb finde ich es immer hilfreich, mich zu fragen: worauf beruht denn meine Interpretation? Was genau habe ich gesehen oder gehört?

Im Beispiel habe ich vielleicht gesehen, wie B im Meeting das Gesicht verzogen hat und mehrfach auf dem Stuhl hin und hergerutscht ist. Und für mich hat das so ausgesehen, wie jemand der komplett genervt ist. Und ich habe gleich interpretiert, dass die Äußerungen von A der Grund für das Genervt sein sind. Gibt es noch andere mögliche Erklärungen für dieses Verhalten? Na klar! Jemand der auf dem Stuhl hin und herrutscht könnte auch eine Biopause brauchen. Oder eine unbequeme Hose tragen. Oder unruhig auf eine wichtige, private Nachricht warten. Jemand der das Gesicht verzieht, könnte körperliche Schmerzen haben. Oder sich gerade an etwas erinnern, was er vergessen / übersehen / falsch gemacht hat, in einem anderen Projekt oder privat.

Wenn mir bewusst ist, was Interpretation und was Beobachtung ist, kann ich die Situation neutraler ansprechen, mit einer inneren Haltung von Interesse und Verstehen-Wollen. Hier wieder ein Beispiel:

Ich: “B, ich habe vorhin im Meeting gesehen, dass du mehrfach das Gesicht verzogen hast. Magst du mir sagen, was gerade bei dir los ist?”
B: “ach so, ich war heute früh beim Zahnarzt, und das zwickt immer mal wieder” oder auch “mhm. ehrlich gesagt, sich war ziemlich genervt von dem, was A über das Projekt gesagt hat”

Warum habe ich jetzt als eine mögliche Antwort auch geschrieben, dass B meine Interpretation bestätigt? Wenn Menschen eine Interpretation über sie persönlich als Tatsache präsentiert bekommen (“warum bist du so genervt?”), dann gibt es eine Tendenz, sich erst mal zu schützen – die Privatsphäre ist in Gefahr, Menschen möchten selbst entscheiden wie sie sich fühlen oder haben Angst, das Gesicht zu verlieren. Und der Schutz sieht dann meist so aus, reflexartig alles abzuweisen und zu verneinen.

Es hat eine andere Wirkung, wenn jemand den Eindruck gewinnt: “da will jemand wissen, wie es mir geht”. Das kann den Raum öffnen, um auch etwas anzusprechen, was erst mal unangenehm scheint.

Vertrauen

Egal ob in diesem Team oder irgendwann früher im Leben – viele Menschen machen leider negative Erfahrungen, wenn sie etwas ansprechen, das sie stört. Seit es “ausgelacht” in Kindergarten oder Schule, sei es “nicht ernst genommen” bei Lehrern oder Eltern, sei es “übergangen” in der Firma. Die Angst vor Ablehnung oder Zurückweisung macht es dann schwierig, Dinge anzusprechen.

Im Arbeitsumfeld kommt unter Umständen die Angst dazu, den Job zu verlieren, wenn man als “Störenfried” oder “Nörgler” abgestempelt wird. Wer erlebt hat, dass ein Kollege sich über einen Zustand in der Firma beschwert hat und kurz danach die Kündigung erhält, wird sich vermutlich eher schwer tun, ähnliche Zustände kritisch anzusprechen – auch wenn sie die Arbeit noch so belasten. Wer dagegen erlebt, dass eine kritische Stimme wohlwollend gehört wird oder sogar aktiv eingefordert wird und sich bestenfalls auch im Arbeitsalltag etwas ändert dadurch, wird sich logischerweise leichter tun selbst etwas anzusprechen.

Es gilt also, in Firmen und Teams eine Kultur zu etablieren, in der Konflikte und (konstruktive) Kritik als Chance statt als Bremsklotz gesehen wird.

Und wenn ich die Person dann auf die Missstimmung anspreche und der Grund ein privater ist: Nicht jeder möchte sein komplettes Privatleben in der Firma erzählen. Erst recht nicht dann, wenn es in der Firma vorkommt, dass solche Informationen dann die Runde machen und irgendwann jeder durch den Flurfunk Bescheid weiß…

Konfliktunwille

Wenn jemand leugnet, dass es ein Problem oder Konflikt gibt, dann kann das auch daran liegen, dass diese Person den Konflikt nicht angehen möchte.

Ich könnte die Person dann abstempeln mit Zuschreibungen wie: will sich gar nicht ändern, feige, steht nicht für sich ein, ist konfliktscheu, ist bockig und unkommunikativ.

Und gleichzeitig hat es eben auch gute Gründe, wenn eine Person lieber nichts an der aktuellen Situation ändern will. Hier ein paar Ideen:

  • Angst vor noch Schlimmerem nach einer Veränderung – dann lieber das bekannte Übel
  • viele Menschen habe Konflikte nie kennengelernt als etwas konstruktives, sie kennen es nur bedrohlich
  • Profitiert vom Konflikt – Symbiose. z.B. A versteht sich gut mit dem Chef. solange sich das Team streitet, gefährdet niemand die Stellung von A gegenüber dem Chef, A ist also nicht daran interessiert, den Konflikt zu lösen.
  • Der Glaube, dass keine Veränderung möglich ist. “Bringt doch eh nichts”
  • Der Glaube, es alleine schaffen zu müssen und mit allen Konflikten oder schwierigen Situationen alleine klarkommen zu müssen. “Ich muss es allein schaffen” “mir kann niemand helfen” “ich darf keine Schwäche zeigen”

Tipps – wie kannst du damit umgehen?

Hier sind einige Ideen und Tipps, wie du doch noch herausfinden kannst, was bei deinem Kollegen gerade los ist.

  • Ansprechen, wie es mir selbst mit der Situation geht – ohne Vorwurf und wirklich nur was mich bewegt. Zum Beispiel: “Ich mach mir Sorgen, weil ich gerne möchte, dass jeder im Team gehört wird.” oder “Wenn ich sehe, du sitzt mit geballten Fäusten im Meeting, dann bin ich unruhig, ich hätte gern Klarheit, was los ist.”
  • Statt “ich seh doch, dass du sauer bist” lieber “du verziehst das Gesicht – magst du sagen, was bei dir gerade ist?” Niemand will (ungefragt) psychologisiert, analysiert oder “durchschaut” werden. Aber die meisten Menschen schätzen es sehr zu merken, dass ihre Unmut gesehen wird und ihre Meinung gehört wird.
  • Auch wenn es für das eigene Ego nicht so schön ist: vielleicht hat jemand anders einen besseren Draht zu der Person. Vielleicht kannst du diese andere Person bitten, mal zu fragen, wie es der Person im Team geht. (bitte nur dann, wenn du dir sicher bist, dass das nicht im Sinne von “hey, die xy hat gesagt mit dir stimmt was nicht und ich soll dich mal fragen was los ist” läuft…)
  • Mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn dir selbst etwas im Team nicht gefällt, sprichst du es dann an? Wenn jemand anderes im Team eine Störung anspricht, hörst du dann erst mal wohlwollend mal zu (unabhängig davon, ob du in der Sache zustimmst oder nicht)? Wird über Kritik im Team konstruktiv geredet? Wenn du alles drei für dich ehrlich mit “ja” beantworten kannst: Glückwunsch, dann gehst du beim Thema Konflikte lösen bereits mit gutem Beispiel voran. Falls du bei einem oder mehreren Punkten noch nicht voll zustimmen kannst: Glückwunsch, du hast einen oder mehrere Punkte gefunden, an denen du ansetzen kannst, um die Kommunikation in deinem Team zu verbessern.
  • In Meetings eine regelmäßige Möglichkeit schaffen (bzw. anregen), wo Störungen und Konflikte angesprochen werden können. Wichtig dabei ist, dass alles was angesprochen ist, dann auch mit Wohlwollen gehört wird.

Tipps für den Kontext Mediation / Coaching

Die folgenden Tipps beziehen sich eher darauf, wenn sich Teilnehmende einer Mediation oder ein Klient während eines Coachings nicht zu etwas äußern, was mir als Mediatorin / Coach aber entscheidend für den Erfolg erscheint. Hier geht es darum, den Raum zu öffnen um Widerstände, Bedenken, Befürchtungen offenzulegen und Vertrauen zu schaffen.

  • “Was brauchst du, damit du dich hier frei äußern kannst?”
  • “Was hindert dich daran, dich zu äußern?”
  • “Gibt es etwas, was du befürchtest, wenn du sagst was dich stört?”
  • Doppeln (eine Methode, bei der der Mediator kurzfristig die Rolle des Teilnehmers einnimmt und aus deren Sicht spricht)

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Heike

    Liebe Judith,

    Elefanten im Raum erlebe ich auch immer wieder. Und sie führen manchmal zu wirklich kuriosen Folgen, die kein Mensch vorher im Blick hatte oder haben konnte. Wenn es gelingt, im Coaching diese Elefanten aufzudecken, kann viel in Bewegung kommen. Ich danke dir für diesen Artikel.

    1. Judith Pfeiffer

      Liebe Heike,
      danke für deinen Kommentar. Ja, das kann wirklich ein Wendepunkt in einem Coaching oder einer Mediation sein, wenn so ein Elefant endlich aufgedeckt wird!

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