Gehen oder Bleiben?

Vielleicht kennst du auch so eine Situation: du bist unzufrieden mit deinem Job oder in deiner Beziehung, und du kannst dich einfach nicht dazu entscheiden, etwas zu ändern. Weiter wie bisher ist unerträglich – aber einen klarer Schlussstrich ziehen geht irgendwie auch nicht. Warten, bis der andere (Chef oder Partner) die Entscheidung trifft und für uns Fakten schafft durch Kündigung des Jobs oder der Beziehung – auch keine tolle Alternative.

Love it, change it – or leave it 

Übersetzt: Wenn du feststellst, dass du eine Situation nicht mehr liebst, dann versuche die Situation zu ändern. Wenn du merkst, dass du es nicht so verändern kannst, dass du es wieder lieben kannst, dann geh und fang neu an.

Die Veränderung kann sowohl im Innen als auch im Außen passieren. 

Eine Änderung im Außen könnte im Job zum Beispiel durch Gespräche mit Kollegen oder Vorgesetzten, Wechsel der Abteilung oder der Aufgaben herbeigeführt werden. Bei einer Beziehung könnten es Gespräche mit dem Partner sein, vielleicht auch mit Begleitung (Eheberatung, Konfliktgespräch / Mediation). 

Im Innen könnte zum Beispiel Selbstreflexion, Selbstcoaching, Coaching oder Therapie helfen.

Und dann am Ende, wenn alle Versuche der Veränderung nicht helfen: gehen. Den Job kündigen, die Beziehung beenden – und neu beginnen.

Die “Grübel-Phase”

Die Kunst ist es, herauszufinden: Sehe ich noch eine Chance auf Veränderung? Oder ist es Zeit zu gehen? Gerade Menschen, die sehr lange über diese Frage grübeln, stellen sich dann diese Frage “gehen oder bleiben?” – oft zu lange. Je länger die Grübelphase dauert, desto wahrscheinlicher ist, dass eigentlich längst die “Gehen”-Phase erreicht ist – und dass die Energie, die für eine Änderung benötigt würde, stattdessen ins Grübeln fließt. 

Typische Sätze oder Gedanken können sein:

  • Eigentlich müsste ich kündigen / Schluss machen.
    Sowohl das “eigentlich” als auch das “müsste ich” sprechen Bände – ein Teil von dir ist so gar nicht überzeugt davon, dass das der richtige Weg ist.
  • Aber früher war es doch so schön – und vielleicht wird es ja auch wieder besser.
    Das Prinzip Hoffnung. Auch wenn ich Tag für Tag eher das Gegenteil erlebe, die Hoffnung stirbt zuletzt. Bis zu einem gewissen Punkt ist diese Haltung hilfreich – irgendwann wird es zur Illusion.
  • Das kann ich den Kollegen / den Kindern / dem Partner doch nicht antun!
    Pflichtgefühl über alles. Wie angenehm ist es wohl für deine Mitmenschen, wenn du etwas nur aus Pflichtgefühl machst? Und: Was für ein Vorbild willst du sein?
  • Da muss ich halt durch
    Oder: “Bleiben heißt stark sein, Gehen heißt schwach sein.”
    Wohl niemand will jemand sein, der gleich beim ersten Problemchen wegläuft, oder? Andererseits: jahrelang in einer unguten Situation verharren und stagnieren ist auch keine Lösung. 
  • Alles passiert aus einem Grund, da gibt es eine Lernaufgabe für mich
    Mag sein. Im Nachhinein stellt sich oft heraus, dass man aus einer sehr schwierigen Situation heraus wertvolle Dinge gelernt hat. Aber vielleicht ist die Lernaufgabe auch: Grenzen ziehen, klare Entscheidungen treffen? Und die Situation wird immer schlimmer, um dir die Entscheidung leichter zu machen?
  • Anderswo ist es auch nicht besser
    Oder: “auf der anderen Seite ist das Gras auch nicht immer grün
    Sicherlich: in jedem Job, in jeder Beziehung gibt es schwierige Phasen. Uns selbst nehmen wir auch immer mit und damit auch unsere ungelösten Themen. Und gleichzeitig kann ein klarer Schnitt auch befreiend sein, wieder Energie freisetzen. 
  • the devil you know is better than the devil you don’t” (etwa: Das bekannte Übel ist besser als ein unbekanntes Übel)
    Die größte Angst ist die vor dem Unbekannten. Menschen nehmen furchtbare Dinge in Kauf, um dieser Angst nicht begegnen zu müssen. 
  • Das ist dann so endgültig
    Ein Abschied ist erst mal schwierig und schmerzhaft. Die Hoffnung verlieren dass es besser werden könnte. Das Alte muss erst losgelassen werden, bevor etwas Neues beginnen kann.
    Noch ein Gedanke dazu: Ich habe schon viele Beziehungen gesehen, denen eine Phase der Trennung gut getan hat. Ich habe auch mehrfach erlebt, dass Menschen eine Firma verlassen haben und nach einigen Jahren wieder zurückgekommen sind – reicher an Erfahrungen und mit einem ganz neuen Blick. Manches, was erst mal endgültig erscheint, ist es gar nicht.   
  • Aber was soll ich denn dann machen?
    Oder auch: “Wer nimmt mich denn dann?
    Ein Neubeginn ist erst mal schwierig und mit viel Unsicherheit und Angst verbunden. Und manchmal löst es auch das weitverbreitete Thema “ich bin nicht gut genug” aus. Es kommen Zweifel hoch, ob es überhaupt einen Arbeitgeber oder einen Partner geben könnte, der mich liebt. Und der Gedanke “vielleicht liebt mich dann niemand” ist sehr schmerzhaft!
Judith mit lustiger Grimasse. Text "Gehen? Bleiben?"

Was tun?

In dieser Phase des Zweifels gibt es ein paar Fragen oder Tools, die helfen können. Im Folgenden beschreibe ich einige davon.

Die “beste Freundin”

Stell dir vor, es ist nicht deine eigene Situation – sondern eine gute Freundin erzählt dir davon. Was rätst du ihr? Was sagst du zu ihr? Auch wenn eine Situation von innen verworren und ausweglos erscheint – von außen ist die beste Lösung oft glasklar und offensichtlich. 

Vielleicht gibt es auch tatsächlich eine beste Freundin oder einen besten Freund, die dir schon Ratschläge gegeben haben – was sagen sie?

Manchmal ist es so, dass die Antwort hier sehr klar ausfällt – wir diese Antwort aber überhaupt nicht gerne hören wollen – dann kann der nächste Abschnitt hilfreich sein.

Dein Vorteil

Was für einen Vorteil bringt es dir, wenn du jetzt keine Entscheidung triffst, keine Änderung herbeiführst, keinen Schlussstrich ziehst?

Es kann sein, dass diese Frage erst mal komisch wirkt und erst mal keine Antwort kommt. Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch immer so handelt, wie es in dem Moment am besten möglich ist, und dass jede Handlung einen guten Grund hat. Manchmal ist dieser Grund versteckt und wenig offensichtlich – trotzdem ist er vorhanden. 

Hier nur eine kleine Sammlung von möglichen Vorteilen: 

  • Sicherheit: Die bestehende Situation kennst du. Wenn du die Situation verlässt, kommt etwas ganz Neues, das du nicht kennst – das löst Unsicherheit und Angst aus. Nichts ändern bedeutet also eine gewisse Sicherheit.
  • Aufmerksamkeit: Vielleicht gibt es Menschen, die uns wegen dieser aktuell unguten Situation viel Aufmerksamkeit schenken. 
  • Zugehörigkeit:Vielleicht sind gerade alle Freunde in einer ähnlichen Situation. Alle beschweren sich über den Job. In Aktion zu gehen, um die eigene Situation zu verbessern, könnte eine (unbewusste) Angst auslösen, dann im Freundeskreis nicht mehr dazuzugehören.  

Trauer und Bedauern

Was gibt es gerade zu bedauern am Job, an der Beziehung? Was ist verloren gegangen und will betrauert und bedauert werden?

Feiern und Wertschätzen

Was ist gerade schön am Job, an der Beziehung? Was schätze ich immer noch daran? Was hält mich noch dort? Was sind die positiven Aspekte?

Fühlen

Viele Gedanken und Gefühle stecken wir im Alltag weg – keine Zeit, darf nicht sein, man muss stark sein. Ich erlebe es als sehr heilsam, alle Gedanken in Bezug auf die ungute Situation zuzulassen – vielleicht sogar aufzuschreiben, und auch jedes Gefühl zuzulassen. Versuchen, zu spüren, was diese Gedanken in meinem Körper ändern, wo ich eine Änderung bemerke – wo etwas hart, weich, warm, kalt, weit oder eng wird zum Beispiel. Je mehr es mir gelingt, diese Empfindungen zu spüren und zu akzeptieren, desto weniger Macht haben sie über mich.

Dein Beitrag

Frage dich: Was kann ich selbst jetzt ganz konkret dazu beitragen, dass die Situation sich verbessert?

Wichtig dabei: ICH SELBST JETZT KONKRET

Im Gegenteil zum häufigen “Die anderen sollten mal…” und dann geht es mir besser.

Welche Ressource hilft mir dabei?

Frage dich: Was brauche ich gerade, um die Situation zu verbessern? Oder was brauche ich, um eine klare Entscheidung treffen zu können?

Das könnte zum Beispiel sein: Selbstvertrauen, Klarheit, Mut, Selbstliebe

Und dann frage dich: Was kann ich tun, um diese Ressource zu stärken?


Falls du gerade in so einer Situation steckst und über der Frage “gehen oder bleiben” grübelst: Ich hoffe ich konnte dir mit diesem Artikel ein paar Anregungen oder Denkanstöße geben, die dir weiterhelfen.

Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Birgit Hirschmann

    Danke liebe Judith!
    Ist verständlich erklärt und Tools die gut umzusetzen sind.
    Danke für den Raum und das Entschleunigen.
    Entscheidungen müssen nicht sofort getroffen werden. Jeder in seinem Tempo. 💐

    1. Judith Pfeiffer

      Liebe Birgit,
      vielen lieben Dank für deinen Kommentar – und bleib bei deinem eigenen Tempo 💖
      Judith

  2. Pingback: Was tun, wenn der Haussegen schief hängt? - Judith Pfeiffer - AufblühCoach

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