Eines der Bücher, die mich sehr stark geprägt haben, ist diese Gebrauchsanweisung für Gefühle und Emotionen von Vivian Dittmar. Das Buch hat meine Sicht auf Gefühle stark verändert.
Meine Sicht auf Gefühle vor dem Buch und durch Gewaltfreie Kommunikation
Grob gesagt war meine Sicht auf Gefühle vor etwa 10 Jahren so: Gefühle passieren halt irgendwie – ich hatte halt Angst oder ich war halt traurig. Im Rückblick hatte ich immer den Eindruck, diesen Emotionen machtlos ausgeliefert zu sein. Und weil es unangenehm war, wollte ich diese Gefühle so schnell wie möglich loswerden. Das ist ja auch einfach – zur Ablenkung einen Film schauen oder etwas essen, oder daran denken dass jemand anderes dran schuld ist.
Seit ich mich mit Gewaltfreier Kommunikation (GFK) befasse (also ca. seit 2014), hat sich meine Sicht auf Gefühle sowieso schon grundsätzlich verändert. Einige dieser Aspekte sind so oder so ähnlich auch in diesem Buch enthalten, deshalb beschreibe ich sie etwas ausführlicher.
Ich habe durch die GFK gelernt, dass alle Gefühle eine Berechtigung haben. Dass Gefühle wie eine Warnleuchte im Auto funktionieren: sie weisen uns darauf hin, dass gerade etwas in den Mangel geraten ist. Beim Auto könnte es Öl sein das fehlt, bei Menschen z.B. Sicherheit oder Zugehörigkeit oder Sinnhaftigkeit die gerade zuwenig da ist. Beim Auto ist jedem klar was zu tun ist: ab zur Tankstelle oder zur Werkstatt. Die Leuchte einfach überkleben, damit das Blinken nicht so nervt, wird wohl (hoffentlich) niemandem einfallen!
Mit Gefühlen machen wir das aber ständig! Ich will keine Angst spüren, also ignoriere ich sie und tue alles mögliche dafür, dass sie weggeht. Es ist schließlich lästig, weiche Knie zu haben! Nur blöd, das das nicht (langfristig) funktioniert. Wenn ich gerade Angst habe, weil die Zugehörigkeit zu einer für mich wichtigen Gruppe in Gefahr ist, dann will das gesehen und beachtet werden!
Der zweite wichtige Punkt, den ich über Gefühle gelernt habe: ich bin für meine eigenen Gefühle selbst verantwortlich. Ganz kraftvoll habe ich eine Übung in Erinnerung, als wir Sätze aus unserem Leben sammeln sollten mit „ich bin… (Gefühl), weil du…(etwas getan oder gesagt hast)“ und diese umwandeln in „ich bin…(Gefühl), weil ich … (Grundbedürfnis) brauche“.
Also zum Beispiel: „ich bin sauer, weil du schon seit zwei Tagen nicht mehr angerufen hast“ – da ist die andere Person verantwortlich dafür, dass es mir jetzt schlecht geht. „Hätte er mal angerufen, dann wäre ich jetzt gut drauf.“ Die Botschaft an mich selbst: ich bin ohnmächtig dem ausgeliefert was andere Menschen tun (oder nicht tun).
In der umgewandelten Form wurde daraus: „ich bin sauer, weil ich Kontakt und Austausch brauche“. In dem Moment, als ich mich damit verbunden habe, dass ich Kontakt und Austausch brauche (aber gerade nicht so erlebe wie ich es gern hätte), sind mir erst mal die Tränen gekommen. Eigentlich war ich total traurig – wollte das aber nicht spüren und habe das leichter zu ertragende „ich bin sauer, weil du…“ gewählt. Ich schreibe „gewählt“ – tatsächlich war das natürlich eine unbewusste Entscheidung.
Dieses Bewusstsein darüber, dass ich selbst für meine Gefühle verantwortlich bin, bringt mich wieder in meine Eigenmacht zurück. Ich weiß jetzt, dass mir Kontakt und Austausch wichtig sind – also kann ich etwas unternehmen, um das zu erleben. Zum Beispiel meine beste Freundin anrufen.
Die Gebrauchsanweisung von Vivian Dittmar
Nachdem ich durch die Gewaltfreie Kommunikation schon entdeckt hatte, dass Gefühle nicht meine Feinde sind, sondern meine Freunde, wollte ich noch mehr darüber lernen. Und da ist mir dieses Buch von Vivian Dittmar begegnet. Ich werde im Folgenden einige Punkte beschreiben, die mir besonders in Erinnerung geblieben sind und die meine Sicht auf Gefühle verändert haben.
Zu jedem Gefühl gehört eine Grundinterpretation
Wie ich eine Situation interpretiere, das bewirkt wie ich mich fühle. Soweit war mir das Konzept bereits vertraut. Was ich sehr prägnant finde, sind die Sätze dazu:
- „Das ist falsch“ -> Wut
- „Das ist schade“ -> Trauer
- „Das ist furchtbar“ -> Angst
- „Das ist richtig“ -> Freude
- „Ich bin falsch“ -> Scham
Nachdem ich das gelesen hatte, ist mir übrigens aufgefallen, wie oft ich Wörter wie „schrecklich“ oder „furchtbar“ verwende oder höre – ohne die Verbindung zur Emotion Angst zu knüpfen. Erst nachdem mir das bewusst geworden ist, habe ich erkannt, dass das tatsächlich jeweils so war. Da war eine Angst!
Eine Übung im Buch hat mich dazu sehr beeindruckt, deshalb will ich sie kurz wiedergeben: Nimm eine komplett neutrale Situation. Zum Beispiel eine Tasse, die auf dem Tisch steht. Wende nacheinander diese Interpretationen auf die Situation an. Zum Beispiel: Es ist falsch, dass diese Tasse da steht, weil… und suche Argumente dafür. Spüre, was das mit dir und deinen Emotionen macht und gehe dann zur nächsten Interpretation / zum nächsten Gefühl über.
Hinter jedem Gefühl steckt eine positive Kraft – und ein Schatten
Die Schatten der Gefühle kennen wir ziemlich gut: die zerstörerische Wut, die lähmende Angst, die selbstzerfleischende Scham. Weniger bekannt sind die positiven Kräfte, die ein Gefühl aktivieren kann. Jedes Gefühl hat spezifische Aufgaben und kann die für bestimmte Situationen nötigen Kräfte aktivieren.
Die positive Wutkraft ermöglicht es zum Beispiel, entschieden „nein“ zu sagen, oder aktiv zu sein, oder sich für etwas einzusetzen. Die positive Schamkraft ermöglicht es, mich selbst zu reflektieren und meine Grenzen und Fehler zu erkennen.
Im Buch ist jede der 5 Grund-Emotionen ausführlich beschrieben. Was macht das Gefühl aus? Wofür brauchen wir es? Was passiert wenn wir zuviel oder zuwenig davon empfinden? Und ja, auch bei Freude kann es ein zuviel geben! Lächeln um jeden Preis macht langfristig krank.
Zweckentfremdete Gefühle
Das finde ich immer noch faszinierend! Sehr häufig passiert es, dass wir Gefühle „zweckentfremden“. Das heißt, wir kreieren ein Gefühl, das der Situation nicht angemessen ist und seine Kraft deshalb auch gar nicht entfalten kann.
Ein Beispiel: jemand reagiert mit hilfloser Wut auf den Tod eines geliebten Menschen.
Ein Grund für diese Gefühlsvertauschung ist, wenn bestimmte Gefühle nicht gesellschaftlich oder von den Eltern akzeptiert wurden. Indianer kennen schließlich keinen Schmerz und wütend sein gehört sich nicht für brave Mädchen.
In einer Situation, die eigentlich Trauer erfordert, gibt es eine Lücke, wenn Trauer nicht sein darf – also springt ein anderes Gefühl ein, zum Beispiel Wut. Bei dem Beispiel eines verstorbenen Menschen kann die Wut nichts kraftvoll verändern – der Tod ist endgültig.
Gefühle wollen gefühlt werden
Sehr hilfreich finde ich auch den Teil des Buches, der sich mit dem Fühlen der Gefühle befasst. Dabei finde die Unterscheidung zwischen „ein Gefühl beobachten“ und „ein Gefühl fühlen“ wichtig, die Vivian Dittmar beschreibt. Nur darüber zu reden, dass man gerade traurig ist, ist eben etwas komplett anderes, als es diese Empfindung zu spüren. Im Buch sind einige Tipps und Übungen, um mehr ins Fühlen zu kommen.
Fazit
Ich empfehle dieses Buch für jeden, der mehr über die eigene Gefühlswelt erfahren will und die Kraft der Gefühle (besser) nutzen möchte.
Das Buch ist überall im Buchhandel erhältlich – meine Empfehlung: am besten bei lokalen Buchläden online oder telefonisch bestellen.
Anmerkung: ich stehe in keinerlei wirtschaftlicher Beziehung zu Autorin oder Verlag o.ä., das ist eine reine Empfehlung aus eigenem Antrieb – weil ich das Buch gut finde
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