Die Empfehlungsfalle

Oder: Warum du diesen Artikel lesen solltest, bevor du jemandem das nächste Mal eine Empfehlung gibst.

Vielleicht kennst du das: Du liest einen Text, hörst ein Video – und du bist inspiriert! Und nicht nur das: Es kommt dir auch sofort eine Person in den Sinn, die genau das unbedingt sehen sollte – weil die Person exakt das Problem hat, von dem dort die Rede ist. Und dann empfiehlst du dieser Person den Artikel oder das Video und – nichts. Kein Interesse. Oder sogar: (heftige) Ablehnung. Und dann bist du vielleicht enttäuscht oder sogar ärgerlich – du hast es schließlich gut gemeint und wolltest dazu beitragen, dass es dieser Person besser geht. Vielleicht reagierst du auch entsprechend “ich wollte doch bloß helfen!” – und vermutlich trägt das noch weniger zu einer guten Stimmung bei…

Was passiert da?

OK, ich glaube die meisten von uns haben einen glasklaren Blick, wenn es um die Probleme anderer geht – und oftmals eine ziemlich vernebelte Sicht, wenn es um die eigenen Probleme geht. Der berühmte Splitter beim anderen und der Balken im eigenen Auge… Und dann können zwei Dinge passieren und aufeinandertreffen: 1. Ich übersehe, dass ich selbst dieses Problem auch habe, vielleicht in noch viel stärkerem Maße und/oder 2. Die andere Person ist sich nicht bewusst, dass dieses Problem etwas mit ihr zu tun hat.

Vielleicht sogar so weit, dass einer oder beide Beteiligte das Problem so sehr ablehnen, dass sie es sich selbst gegenüber niemals zugeben würden – geschweige denn jemandem anderen.

Die Autonomie mal wieder…

Wie bei jeder Empfehlung besteht auch in diesem Beispiel die Gefahr, dass ein Ratschlag eher als Schlag empfunden wird als als Hilfe. Wir wollen alle selbst entscheiden, wie wir mit unseren eigenen Herausforderungen umgehen, ob, wann und wen wir um Hilfe bitten, und wie wir ein Problem dann schließlich lösen. Deshalb gibt es dann gerne eine gereizte Reaktion auf – gut gemeinte – Ratschläge: “misch dich nicht ein”, “so ein Quatsch, brauch ich nicht”.

Die Reaktion fällt vor allem dann heftig aus, wenn jemand oft Erfahrungen gemacht hat mit Situationen in denen ihnen Entscheidungen von außen abgenommen wurden und sie gegen ihren Willen Dinge tun mussten. Oder auch wenn Menschen häufig ungebetene Ratschläge bekommen haben, vielleicht sogar verbunden mit einer starken Erwartung, dass er umgesetzt werden muss (und entsprechenden beleidigten Reaktionen vom Ratgeber, wenn das nicht passierte).

Was mache ich also, wenn ich wirklich helfen will?

  • Das, was ich erfahren habe in dem Text / Video selbst umsetzen. Vorleben. Ohne eine Idee von Missionieren. Wenn die andere Person eine Änderung bemerkt und neugierig ist und es selbst auch erreichen will, dann wird sie von sich aus nachfragen.  
  • Von mir erzählen und bei mir bleiben – was habe ich erlebt, als ich diesen Text / dieses Video gefunden habe und bei welchem Beispiel aus meinem Leben hat es mir konkret wie geholfen. Auch hier: ohne eine Idee von Missionieren.
  • wenn ich einen guten Draht zu der Person habe, und mich oft schriftlich austausche (Chat, Messenger, email), dann halte ich das “von mir erzählen” meist sehr kurz  (z.B. “das fand ich spannend”) und ich teile den Text / das Video direkt – und auch wenn ich mir vielleicht wünsche, dass die Person die Anregung aufnimmt, bin ich auch ok damit, wenn sie es nicht macht. Wichtig ist für mich hier die Intention, der Person selbst zu überlassen, was sie damit anfängt oder eben auch nicht.
  • Wenn die Person von sich aus das Problem anspricht: 
    • Zuhören, als allererstes – mit Mitgefühl und liebevoller Zuwendung
    • Fragen, ob sie eine Idee / einen Rat / eine Empfehlung von mir haben will
    • Wenn ja: auf den Text / das Video verweisen

Ich habe die Erfahrung gemacht: wenn jemand von sich aus so weit ist, dass er Hilfe möchte und annehmen will, ist er meist froh und dankbar, wenn ihm jemand einen passenden Text / Video vermittelt und er wird die Empfehlung dann auch sehr gerne annehmen.

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